Page 22 - Natur in NRW
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Fachbeiträge
lang der Rheinaue vorhanden. Auch der hier vorgefundene Australische Drüsen- gänsefuß (Dysphania pumilio) besitzt ei- nen Verbreitungsschwerpunkt am Rhein- ufer, außerhalb der Rheinaue ist er nur selten, beispielsweise auf Industriebra- chen, zu finden.
Die Funde des Kleinen Liebesgrases und des mengenmäßig überwiegenden Japa- nischen Liebesgrases (Eragrostis minor und E. multicaulis) auf der A40 bekräfti- gen ebenfalls eine Entwicklung der letz- ten Jahre. In diesem Zeitraum haben beide Arten, insbesondere letztere, in stark an- thropogenen Lebensräumen wie Pflaster- ritzen, auf Gehwegen und Plätzen enorm zugenommen und sind hier nahezu all- gegenwärtig vertreten. Offenbar tritt die- ses Phänomen analog auf der A40 auf. Dies gilt auch für den Portulak (Portulaca oleracea agg.), der jedoch nur mit weni- gen Exemplaren auf der A40 am Kreuz Kaiserberg vorgefunden wurde, eben- falls aber offensichtlich gerade eine starke Ausbreitungstendenz besitzt.
Interessant sind die großen Vorkommen des Weißen Berufkrauts (Erigeron suma trensis). Funde der Art häuften sich im Jahr 2020 im gesamten Ruhrgebiet (Bo- chumer Botanischer Verein 2021), wobei diese massive Einwanderung in den Vor- jahren bis auf einzelne Hinweise kaum bemerkt wurde. Auf dem untersuchten Bereich der A40 nahm die Art strecken- weise Hunderte Meter lange Dominanzbe- stände auf dem Mittelstreifen ein.
Zwei nennenswerte Arten in dem unter- suchten Abschnitt sind als Gartenflüchter zu werten: Das Chinaschilf (Miscanthus sinensis) und das Pampasgras (Cortade ria selloana). Die beiden Fundstellen sind für Fußgänger unzugänglich, sodass eine direkte Entsorgung von Gartenabfall am Standort nahezu ausgeschlossen werden kann. Verschleppt werden die Arten je- doch mit hoher Wahrscheinlichkeit vege- tativ, entweder durch Tiere, möglicher- weise aber auch durch landschaftspflege- rische Geräte.
Diskussion
Die Flora des untersuchten Abschnittes 9 zeigt im Vergleich der Jahre 2010 und 2020 mit 72 Prozent eine immer noch hö- here Ähnlichkeit, als selbst die ähnlichs- ten Abschnitte im Jahr 2010 untereinan- der (Tab. 1). Hier herrschten teils Unter- schiede von über 50 Prozent, wobei sich ein Gradient erkennen lässt – räumlich nahe Abschnitte sind ähnlicher als ent- fernte. Dies sind Effekte räumlicher Ähn- lichkeiten benachbarter Abschnitte, lokale Verbreitungszentren von Arten, aber auch strukturelle und bauliche Unterschiede der Mittel- und Randstreifen.
Trotz einer deutlichen Verschiebung der Artenzahl innerhalb des vergangenen Jahrzehntes ist die Flora des untersuchten Abschnittes somit noch verhältnismäßig konstant geblieben, abgesehen von den genannten Arten, die sich aktuell in einem Ausbreitungsprozess befinden.
Die erneute Untersuchung des Auto- bahnabschnittes eröffnet wertvolle Rück- schlüsse auf den Wandel der urbanen Flora des Ruhrgebietes innerhalb der letz- ten zehn Jahre, insbesondere mit Blick auf klimatische Veränderungen und auf Migrationsbewegungen von Neophy-
ten und einheimischen Arten, die aktu-
ell eine Arealverschiebung vollziehen.
So lassen sich potenzielle Profiteure des Klimawandels herausarbeiten, die eine wichtige Rolle bei Diskussionen um kli- maresiliente beziehungsweise zukünftige Flora und Vegetation im urbanen Umfeld spielen. Klassische Beispiele stammen aus der Gruppe der C4-Pflanzen (etwa in- nerhalb der Gattungen Eragrostis, Seta ria oder Digitaria, vgl. auch Keil et al. 2021). Aber auch bei Arten wie dem Duft- Drüsengänsefuß kann damit gerechnet werden, dass es nur noch eine Frage we- niger Jahre ist, bis er auch Straßenränder und Ruderalstellen besiedelt.
Autobahnen kommt dabei neben Flüs- sen und Bahnlinien eine wesentliche Rolle als Einwanderungs- und Ausbrei- tungskorridor von Pflanzenarten zu (u. a. Griese 1998, Kowarik et al. 2008, Bran- des 2009). Das sind häufig Neophyten aus klimatisch wärmeren Regionen wie dem Mittelmeerraum, die bereits geeig- nete Anpassungen an Trockenheit und Hitze mitbringen und gegebenenfalls auch eine gewisse Salztoleranz (Beispiel Anisantha fasciculata bei Fuchs et al. 2010). Gründe dafür sind die Verdriftung von Diasporen durch Fahrtwind, Regen- wasser oder Reifen. Wie die Besiedlung
Natur in NRW 2/2021
Abb. 6: Mittelstreifen mit Götterbaum und weiteren typischen Pflanzenarten. Foto: P. Keil 22