Page 4 - Natur in NRW
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Aktuelles
Studie
Biologische Vielfalt macht glücklich
Eine hohe biologische Vielfalt in der nä- heren Umgebung ist für die Lebenszufrie- denheit genauso wichtig wie das Einkom- men. Dies berichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Senckenberg Ge- sellschaft für Naturforschung, des Deut- schen Zentrums für integrative Biodiver- sitätsforschung (iDiv) und der Universität Kiel. Sie haben erstmals europaweit ge- zeigt, dass die individuelle Lebenszufrie- denheit mit der Vielfalt der Vogelarten im Umfeld korreliert. Zehn Prozent mehr Vo- gelarten im Umfeld steigern die Lebens- zufriedenheit der Europäerinnen und Eu- ropäer demnach mindestens genauso stark wie ein vergleichbarer Einkommenszu- wachs. Naturschutz sei daher eine Investi- tion in menschliches Wohlbefinden, so die Forschenden.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler ermittelten auf Basis von Daten des „2012 European Quality of Life Sur- vey“ bei mehr als 26.000 Erwachsenen aus 26 europäischen Ländern, wie die Ar- tenvielfalt in ihrer Umgebung und ihre Lebenszufriedenheit zusammenhängen. Als Maßstab für die Artenvielfalt nutz- ten die Forschenden die Vielfalt der Vo- gelarten, dokumentiert im Europäischen Brutvogelatlas. Vögel eignen sich als In- diz für biologische Vielfalt, da sie – vor allem in Städten – zu den sichtbarsten Elementen der belebten Natur zählen. Zu-
dem ist ihr Gesang häufig selbst dann zu hören, wenn der eigentliche Vogel nicht zu sehen ist, die meisten Vogelarten sind beliebt und werden gern beobachtet. Doch auch ein zweiter Aspekt beeinflusst die Lebenszufriedenheit: die Umgebung. Be- sonders viele verschiedene Vogelarten gibt es nämlich dort, wo der Anteil an na- turbelassenen und abwechslungsreichen Landschaften hoch ist und es viele Grün- flächen und Gewässer gibt.
Eine vielfältige Natur spielt also gemäß der Studie europaweit eine wichtige Rolle für das menschliche Wohlergehen – auch jenseits ihrer materiellen Leistungen.
Quelle: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
FFH-Richtlinie
EU-Kommission beschließt Klage gegen Deutschland
Die Europäische Kommission kündigte am 19. Februar an, Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen man- gelhafter Umsetzung der Flora-Fauna- Habitat-Richtlinie (FFH-RL) zu ver- klagen. Der Klage war ein 2015 ange- stoßenes Vertragsverletzungsverfahren vorgeschaltet.
Gemäß der Richtlinie müssen die Mit- gliedstaaten besondere Schutzgebiete ausweisen und gebietsspezifische Erhal- tungsziele sowie entsprechende Erhal- tungsmaßnahmen festlegen, um einen günstigen Erhaltungszustand der dorti- gen Arten und Lebensräume zu erhalten oder wiederherzustellen. Die EU-Kom- mission wirft Deutschland vor, dass nicht alle FFH-Gebiete rechtlich gesichert seien und nicht für alle Gebiete ausreichend de- taillierte Erhaltungsziele und -maßnah- men festgelegt worden seien. Die Frist für die Vollendung der notwendigen Maßnah- men für alle Gebiete in Deutschland ist in einigen Fällen vor mehr als zehn Jahren abgelaufen.
In einer Stellungnahme des Bundesum- weltministeriums (BMU) auf die Ankün- digung der EU-Kommission heißt es, in den letzten Jahren seien bezüglich eines Teils der Vorwürfe der Kommission er- hebliche Fortschritte gemacht worden: So seien inzwischen über 98 Prozent aller FFH-Gebiete rechtlich gesichert und für
circa 84 Prozent der Gebiete die Erhal- tungsmaßnahmen festgelegt. Die Forde- rungen der Kommission gehen aus Sicht von Bund und Ländern zudem rechtlich zu weit. Die Umsetzung würde einen im- mensen finanziellen und verwaltungstech- nischen Aufwand bedeuten und sich für die insgesamt circa 4.600 FFH-Gebiete vermutlich über viele Jahre hinziehen. Unabhängig davon würden die betrof- fenen Länder weiterhin intensiv am Ab- schluss der rechtlichen Sicherung der FFH-Gebiete sowie der Erstellung der ausstehenden Managementpläne und ihrer Veröffentlichung arbeiten.
In NRW ist die rechtliche Sicherung der 517 FFH-Gebiete abgeschlossen und Ma- nagementpläne mit Erhaltungsmaßnah- men wurden mit großem Engagement der Beteiligten für alle Gebiete erarbeitet.
Quelle: Europäische Kommission, BMU, LANUV
Naturschutzverbände
Agenda für mehr Wildnis vorgestellt
Die Initiative „Wildnis in Deutschland“ – ein Bündnis von 19 Naturschutzorga- nisationen – hat Anfang Dezember ihre „Agenda für Wildnis“ vorgestellt. Darin appelliert sie an verschiedene politische Ressorts von Bund und Ländern, ihren Beitrag für mehr Wildnis in Deutschland zu leisten. Die Bundesregierung habe ihr selbst gestecktes Ziel, bis 2020 auf zwei Prozent der Landesfläche große Wildnis- gebiete auszuweisen, deutlich verfehlt. Gerade einmal 0,6 Prozent seien bislang erreicht.
Die „Agenda für Wildnis“ zeigt auf,
wie wichtig Wildnisgebiete für viele ge- sellschaftspolitische Ziele sind. Wild-
nis bewahre nicht nur unsere biologi- sche Vielfalt, sondern mindere auch ne- gative Effekte des Klimawandels, könne vor Hochwasser schützen und trage über Tourismuseffekte positiv zur Regional- entwicklung bei. Konkret regen die Na- turschutzverbände an, künftig mit frei werdenden Flächen im ländlichen Raum bestehende Wildnisgebiete zu erweitern oder miteinander zu vernetzen, anstatt sie zu privatisieren. Außerdem sollte mindes- tens ein Prozent des Budgets für den Bun- desfernstraßenbau in die (Wieder-)Vernet- zung von Kernflächen des Naturschutzes, insbesondere von Wildnisgebieten inves-
Zehn Prozent mehr Vogelarten (im Bild: Rotkehlchen) im Umfeld steigern die Lebenszu- friedenheit mindestens genauso stark wie ein vergleichbarer Einkommenszuwachs. Foto: Senckenberg
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Natur in NRW 1/2021