Page 37 - Natur in NRW
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zur Aufrechterhaltung der Nahrungsnetze beitragen. Gerade einst so omnipräsente Gruppen wie etwa die Schwebfliegen (Diptera: Syrphidae), von denen viele als Nützlinge in Gärten und landwirtschaft- lichen Kulturen besonders geschätzt wer- den, sind von den allgemeinen Rückgän- gen besonders stark betroffen. So konn- ten Gatter et al. (2020) jüngst anhand einer Untersuchung der Wanderbewe- gung verschiedener Insektengruppen auf der Schwäbischen Alb belegen, dass die wandernden Bestände einiger Schweb- fliegengruppen innerhalb von 50 Jahren um bis zu 97 Prozent eingebrochen sind. Dieser landschaftsweite Effekt lässt sich längst auch in Gärten und auf Balkonen beobachten.
Chancen und Risiken bei der Verwendung heimischer Pflanzen
Viele Balkon- und Gartenbesitzende möchten im eigenen kleinen Wirkungsbe- reich etwas gegen diesen massiven Verlust der Artenvielfalt unternehmen und fra- gen vermehrt nach insektenfreundlichen Zierpflanzen. Darauf reagiert der Garten- fachhandel zwar spürbar, allerdings bisher vielfach in den gewohnten Denkmustern und bietet mit vielen „bienenfreundlichen Blumen“ nach wie vor züchterisch ver- änderte Arten oder Pflanzen aus anderen Erdteilen an. Doch auch in Mitteleuropa heimische Arten finden zunehmend ih-
ren Weg in den Handel. Ob Wiesen-Salbei (Salvia pratensis), Arznei-Thymian (Thy- mus pulegioides) oder Heide-Nelke (Di- anthus deltoides) – die Pflanzen aus dem Gärtnerei-Fachbetrieb sind auf Art-Ebene zwar durchaus heimisch. Doch welche ge- netische Ausprägung in ihnen schlummert, das heißt, in welcher Gegend die Samen für die Vermehrung gesammelt worden waren, ist typischerweise nicht ersicht- lich. Botanisch seit Langem bekannt sind etwa durch nicht zertifiziertes Saatgut ein- gebrachte Unterarten an sich heimischer Wildpflanzen, wie etwa im Fall der me- diterranen Subspezies Weichstacheliger Wiesenknopf des Kleinen Wiesenknopfs (Sanguisorba minor ssp. balearica, Bour- geau ex C. F. Nyman, Muñoz Garmen-
dia & Navarro Aranda 1998; botanische Nomenklatur nach Hand et al. 2020), die sich bei Kartierungen immer wieder in der freien Landschaft nachweisen lässt. Abbil- dung 2 veranschaulicht anhand von Größe und Gestalt der Diasporen, dass die Unter- schiede zwischen beiden Unterarten zum Teil beträchtlich sind.
Abb. 2: Unterschiede bei den Diasporen von Sanguisorba minor ssp. minor (links) und Sanguisorba minor ssp. balearica (rechts). Die mediterrane Unterart hat deutlich größere Samen mit einer stark höckerigen Oberfläche. Foto: V. Unterladstetter
Die Verwendung von heimischen Wild- pflanzen in Gärten, auf Balkonen, aber auch in Pflanzungen des öffentlichen Grüns, in Schul- und Schaugärten ist aus Sicht des Natur- und Umweltschutzes zu- nächst einmal wünschenswert. Allerdings kann der unkontrollierte Einsatz von Wildpflanzen mit unklarer genetischer Herkunft zum Boomerang werden, wenn sich solche Pflanzen etwa über Garten- zaun oder Stadtpark hinaus verbreiten und an irgendeinem Punkt in eine Fortpflan- zungsbeziehung mit einer lokalen Popu- lation der gleichen Art treten. Dann dro- hen im schlimmsten Fall sogenannte Aus- zuchteffekte (engl. outbreeding depres- sion), das heißt, die beiden Populationen sind sich genetisch so unähnlich, dass die allgemeine ökologische Fitness der ge-
meinsamen Nachkommen abnimmt (vgl. etwa Hufford & Mazer 2003). Das könnte gerade im Zeitalter des allgemeinen Ar- tensterbens fatale Konsequenzen haben. Aus diesem Grund sollte der Naturschutz den Trend zum Wildpflanzengärtnern auf- merksam begleiten und, soweit möglich, das Bewusstsein für die Chancen und Ri- siken im Bereich pflanzengenetischer Vielfalt fördern.
Projektstart und Vorüberlegungen
Vor diesem Hintergrund hat der NABU Stadtverband Köln im Sommer 2019 das Pilotprojekt „Naturnahe Balkone“ ge-
Natur in NRW 1/2021
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Abb. 3: Die Moschus-Malve (Malva moschata) macht auch im Naturgarten eine gute Figur. Aus welchem Naturraum sie stammt, ist in der Gärtnerei allerdings meist nicht zu erkennen. Foto: B. Röttering
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